Kiara I - Tagewerk einer Vertrauten

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21. Hekaphaurus 6542 der Vierten Ära nach der Landung in Lethalia (NL)

Sonnenuntergang

Kiara

 

Der Tag neigte sich dem Ende, die Tagesdiener erledigten die letzten Handschläge, bevor sie zu ihrer - hoffentlich - wohlverdienten Nachtruhe in ihre Zimmer und Schlafräume in die Gesindel-Kammern aufbrachen.

Das war der Moment, wo ihre Aufgabe begann. Ihre, die der Nachtköche, Vertrauten, Leibdiener und all der anderen, welche das Pech und die Ehre hatten, gemeinsam mit ihren Herren und Herrinnen aufzustehen und ihnen zu dienen.

Kiara empfand es als Glück, denn auch sie mochte den Tag nicht, auch, wenn sie ihn Dank ihrer Herkunft und ihrer Blutlinie um ein weniges länger ertragen konnte als ihre Herrin oder die Mutter ihrer Herrin, ihre Blutige Eminenz.

Die Frau fuhr sich durch das ungebändigte Haar, blinzelte gegen das rötliche Licht der Sonne von draußen und schlug die Felldecke zurück, denn ihr war warm und das Nachthemd klebte ihr am Körper. Sofort wurde es angenehm kühler und die Frau streckte sich, fuhr sich mit der Zunge über die spitzen Eckzähne und schmatzte leise. Sie setzte sich auf, als es an ihrer Tür klopfte, ihre rotbraunen Haare fielen ihr über die Schultern, bedeckten ihre Brust und berührten beinahe ihre Beine.

Lang waren sie geworden.

"Herein.", sprach sie leise, hob den Blick etwas, spähte durch ihre leicht gelockten Haare. Die in die Jahre gekommene Holztür öffnete sich schabend, zum Glück waren die Angeln geölt. Das Quietschen hätte keiner der Vampire in unmittelbarer Nähe ausgehalten.

Ihr schmales Zimmer mit dem Fenster fast unter der Decke betrat ein anderer niederer Vampir. Seine Kleidung war sauber, gepflegt und nur am Saum war die Hose etwas ausgefranst. Das durfte sie noch sein, solange keine Löcher darin waren.

"Herrin." Der Vampir verneigte sich vor ihr, obwohl sie beide niedere Vampire und Diener waren. Kiara war allerdings eine Vertraute und stand so über den anderen Dienern. Ihre Fandaloré wies sie auch als Vampirin bzw. Fondané des achten Ranges aus. Nicht, dass sie mit ihrem Rang hausieren ging, schon gar nicht bei niederen Fondané.

Der junge Vampir stellte ein Tablett auf ihren schmalen Holztisch, verneigte sich rasch wieder vor ihr, verschwand aus dem Zimmer und schloss die Tür, welche wieder über den Steinboden schabte.

Kiara setzte sich auf den schmalen Hocker, der vor ihrem Tisch stand und inspizierte das Tablett. Graubrot, zwei geschälte Möhren, ein Stück Käse und ein großer Becher frisches Wasser. Eigentlich hätte sie Anspruch auf Tee gehabt, aber den wollte sie lieber nach einem weiteren erfolgreichen Tag im Dienste ihrer Herrin trinken, wenn der Morgen anbrach und ihre Herrin ins Bett ging.

Die Frau speiste rasch, bevor sie ihr Nachthemd auszog und ihr Untergewand und das warme Obergewand darüber. Sie schlüpfte in ihre weichen Schuhe mit der beständigen Ledersohle, schnürte sie fest und brachte das Tablett weg. Nicht, dass sie den anderen Dienern Arbeit ersparen wollte, sie wollte das benutzte Geschirr nur nicht in ihrem Zimmer haben und die anderen Diener waren ihr manchmal einfach zu langsam. Wenigstens hatte sie bei Tagesanbruch ein gemachtes Bett. Ein gemachtes Bett, wo niemand aus Neid hineingemacht hatte.

Kiara hatte keine Befehle von ihrer Herrin erhalten und würde sie erst in einer bis zwei Stunden besuchen. Sie würde ihre Unterstützung brauchen, gerade in diesen Zeiten. Kiara beneidete ihre Herrin nicht um die Umstände, aber um das Ergebnis.

Nun, sei es, wie es sei. Sie nahm den Weg von ihrer Kammer ein Stockwerk höher, wo ihre Herrin ihre großen Gemächer hatte. Kiara spähte hinein, roch den Duft ihrer Herrin, ihr Herz machte einen Satz und sie sah, dass ihre Herrin schlief, also schloss sie die Tür und machte sich auf den Weg in den Tempel, wo ihre Blutigen Eminenzen, Yolene und Borlan Abbaturi, ihre Gemächer hatten.

Sie brauchte keinen Schutz vor der untergehenden Sonne, die hohen Berggipfel spendeten reichlich Schatten und die wenigen Sonnenflecke auf dem harten Stein konnte Kiara mühelos umgehen.

Der Tempel aus grauem Stein und weißem Marmor war jedes Mal wieder beeindruckend. Sie ging durch die große Halle mit dem Altar aus weißem Marmor und nahm den direkten Weg in die Gemächer. Als einzige Außenstehende durfte und musste sie diesen Weg gehen, wenn ihre Herrin ihr keine anderslautenden Befehle gab.

Etwas zögerlich klopfte sie an der dicken Holztür, welche nach zwei Herzschlägen von allein aufschwang. Das offizielle Studierzimmer der beiden Hohepriester des Clans der Abbaturi lag etwas weiter vorne als ihre Gemächer und wurde beherrscht von mehreren großen Regalen voller Bücher in der Sprache der Infernalé, welche nur die Priester und Hohepriester sprechen durften.

Zwei Schreibtische aus Mooreiche, verziert mit Rubinen in der Form der Runen der Infernalé, standen nebeneinander; Kerzenleuchter und Lampen spendeten warmes Licht. Die Technik der Dampfkraft war im Tempel nicht erwünscht, man wollte ihn rein halten, genau wie man den Glauben an die Infernalé rein halten wollte.

Die Schreibtische waren leer bis auf einige Pergamente, wunderschöne Schreibfedern und Tintenfässer. Der linke Schreibtisch war nicht besetzt von der Blutigen Eminenz Borlan, aber die Blutige Eminenz Yolene saß in ihrem hohen Stuhl, über ein Pergament gebeugt und schrieb. Sie schien Kiara nicht wahrzunehmen, aber sie hatte die Tür mit ihren Kräften geöffnet, also tat sie nur so.

Kiara kannte dieses Spiel bereits und es war ein allgemeiner Tanz, den jeder Priester oder Diener mit den Blutigen Eminenzen tanzte.

Also blieb sie drei Schritte vor dem schwarzen Schreibtisch stehen, die Hände vor dem Bauch und wartete. Es war angenehm warm in dem großen Studierzimmer, der Kamin war nicht befeuert, kalte Asche lag darin. Die Kälte des Tages hatte das Zimmer nicht ausgekühlen können, dafür würde es die Kälte der Nacht tun.

"Du kannst ihn befeuern.", sprach die Blutige Eminenz sie an. "Die Nacht bricht herein, wir werden ihn brauchen."

"Ja, Herrin." Kiara verneigte sich, ging um den Kamin herum und legte vier Holzscheite von dem kleinen Stapel auf die kalte Asche, rüttelte etwas am eisernen Abzug. Mit bereitliegendem Feuerstahl, Stein und etwas Zunderpilz entzündete sie das Holz. Die Flammen wollten erst nicht so richtig, fanden dann aber Halt und verströmten wohlige Wärme.

"Gut." Nun schaute die Blutige Eminenz auf, ihr schwarzes Haar mit den sanften Locken darin wogte bei der Bewegung wie Wasser, welches in Bewegung gesetzt wurde, ihr dunkelroten Augen schauten Kiara direkt an. "Nun, wie geht es ihr?"

"Sie schläft noch, Herrin. Ich weiß noch nicht, ob sich ihr Zustand nennenswert gebessert hat." Sie schlug rasch die Augen nieder, denn die Schönheit der Blutigen Eminenz war schwierig zu ertragen, genau wie ihre Macht, die von ihr ausging, welche auf den Augen und teilweise auf der Haut brannte.

"Dann mach so weiter wie bisher." Die Blutige Eminenz Yolene beendete den Satz auf ihrem Pergament, schloss mit einer Rune in Form einer umgedrehten Gabel, entfernte die überschüssige Tinte mit einem Tintenabroller und schaute Kiara wieder direkt an. Der Kopfschmuck, den sie normalerweise trug, ruhte auf einem Kopf aus schwarzem Granit. "Frühstück für uns, Frühstück für sie, bereite alles vor und wir erwarten deinen Bericht."

"Ja, Herrin." Kiara verneigte sich wieder, hörte im Nebenzimmer etwas rascheln und vermutete dort die Blutige Eminenz Borlan. "Soll ich ihr etwas ausrichten?"

"Nein." Die Blutige Eminenz Yolene richtete ihre dunkelroten Augen wieder auf ihr Pergament, schien nach etwas zu suchen. "Wir werden uns noch früh genug sprechen. Reagiert sie gut auf dein Blut?"

"Ja, Herrin."

"Schön. - Ah, doch." Die Blutige Eminenz Yolene - Kiara dachte sicherheitshalber immer an ihren Titel, falls die Blutigen Eminenzen Gedanken lesen konnten - hob erneut den Kopf und deutete auf ein rautenförmiges Fach. "Nimm diese Rolle da. Ja, die Braune mit der Ulriz-Rune darauf. Genau die."

Kiara zog vorsichtig die etwa beinlange Hülle aus dem Fach. Im Inneren der Hülle klapperte es leise.

"Bring sie zu ihr. Sie soll schon einmal ihren Weg planen, mit oder ohne die Hilfe ihrer Diener. Oder deiner." Die Blutige Eminenz Yolene hielt Kiara in ihrem Blick gefangen, sie konnte und wollte sich nicht rühren. Aus Angst und Verlangen.

"Ja...Ja, Herrin.", brachte sie drucksend heraus.

"Gut. Das wäre dann alles." Die Blutige Eminenz Yolene senkte den Kopf wieder auf ihr Pergament.

"Darf es zum Frühstück etwas Bestimmtes sein, Eure Blutige Eminenz?", fragte Kiara. Sie wollte alles richtig machen und stellte daher lieber Fragen, auch, wenn es ihr manchmal ungeduldige Blicke einbrachte.

"Dörrfrüchte, Brot, das Übliche. Heißen Tee und Quellwasser. Für beide."

"Also wie immer.", lächelte Kiara, verbeugte sich mit der Hülle in der Hand vor der Blutigen Eminenz Yolene und wandte sich ab, der Kamin entwickelte bereits eine behagliche Hitze.

Als sie die Tür schloss, sah sie nur einen Schatten und die tiefe Stimme der Blutigen Eminez Borlan sprach, dass "die Voltera es kaum erwarten..."

Danach hörte sie nichts mehr, denn die Tür fiel ins Schloss, unterbrach die Geräusche und die Wärme des Feuers. Im Gang war es kühler geworden, aber noch nicht kalt, die Kälte der Nacht würde nun bald folgen.

Das Frühstück war eine leichte, aber ebenso wichtige Aufgabe. Sie betrat die Küche der Priester und sie wichen vor ihr zurück. Einem jungen Vampir-Mädchen drückte sie die Schriftrollenhülle in die Hand. Das Mädchen erstarrte und bewegte sich nicht.

Mit der langen Erfahrung der Jahre schnitt sie ofenfrisches Brot, Käse, etwas geräucherte Wurst in Scheiben, legte Dörrfrüchte dazu, richtete Tee in einer Kanne aus feinem Porzellan an, setzte heißes Wasser auf und ging davon in die Tiefen des Berges, um Quellwasser zu holen. Sie hätte es auch einen Diener holen lassen können, aber sie wollte es selbst machen, denn es war ihre Verantwortung und ihr Werk.

Das Wasser aus dem kleinen Raum war kalt, frisch, voller natürlicher Mineralien und würde sicherlich sehr gut schmecken. Die Glaskaraffe in ihrer Hand schien das Wasser sogar noch etwas aufzuwerten, da es fast wie flüssiger Kristall schimmerte.

Geschwinden Schrittes lief sie zur Küche zurück, zog einen der Servierwagen heran, drapierte die Schalen, Teller und Anrichtplatten auf der weißen Decke auf dem Wagen, zog sie glatt, nahm die Kartenhülle von dem erstarrten Diener wieder entgegen und verließ die Küche.

Die Blutigen Eminenzen Borlan und Yolene saßen nun beide hinter ihren Schreibtischen. Nur die Blutige Eminenz Yolene schaute auf, was aber für Kiara schon genug war; wieder stieg in ihr eine sehr verwirrende Mischung aus Angst und Verlangen auf, in ihrem Bauch eisigkalt und in ihrem Unterbauch warm wie ein Feuer. Zum Glück schaute die braunhaarige Blutige Eminenz Borlan nicht auf, sondern konzentrierte sich auf sein Pergament in der Hand. Bei ihm wäre es nur Angst gewesen.

Schweigend verteilte Kiara die Teller und Schalen, holte aus einer Vitrine Kristallgläser mit diamantförmigen Facetten und goss so grazil es ihr möglich war das klare Wasser hinein. Die Tassen aus Porzellan mit Tee stellte sie daneben hin, wo sie vor Kopf vor den leeren Tellern standen.

Mit einer Verbeugung vor den beiden Hohepriestern verließ sie rückwärts, den Servierwagen ziehend, das Büro und lief zurück zur Küche, die Rollen des Wagens surrten über den glattgehauenen Stein. Sie öffnete die Tür zur Küche und schob den Wagen hinein.

Ihr Blick fiel aus dem Fenster der Küche. Noch hatte Kiara Zeit, also lief sie zu den Waschräumen der Diener und Sklaven. Die Duschen dort lieferten wie überall nur kaltes Wasser, aber das war eben der Preis, den sie für die Sicherheit des Gebirges zahlen mussten. Und Kiara zahlte ihn gerne, obwohl sie darin kein Mitspracherecht hatte.

Die Waschräume waren im Grunde auch nur ein in den Stein gehauener Tunnel mit einem Vorraum, wo die sich zu Waschenden ihrer Kleidung entledigen und sich ein Trockentuch nehmen konnten. Das laute Rauschen der Duschen verschluckte fast jedes Geräusch und war prädestiniert dafür, andere Vampire auszuschalten und sogar zu töten. Es war bereits passiert aufgrund der internen Machtkämpfe der Dienerschaft und Kiara war trotz ihres Status als Vertraute davor nicht gefeit. Daher nutzte sie entweder direkt die erste Dusche oder die letzte.

Die Duschen waren im Grunde nichts weiter als in den Stein gehauene, sehr flache Becken mit einem Loch in der Mitte als Abfluss. Das Wasser kam dauerhaft von oben durch mehrere gebohrte Löcher heruntergeprasselt, vermutlich gespeist durch die gleiche Bergquelle wie die Duschen der Adligen.

Kiara entledigte sich ihrer Kleidung im Vorraum, nahm eines der Trockentücher und ein Stück Kernseife aus einer noch feuchten und seifigen Schale, bevor sie sich in die erste Dusche auf der rechten Seite begab. Der Diener, der gerade den Gang wischte, konnte sie ruhig nackt sehen.

Am problematischsten waren ihre langen Haare, die sie nach der Dusche und notdürftiger Trocknung zu einem langen geflochtenen Zopf flocht, nachdem sie sich so gut es ging abgetrocknet und angekleidet hatte. Das Tuch selbst warf sie in den dafür vorgesehenen Behälter, der irgendwann in die Waschküche gebracht wurde. Zum Glück war sie dort nicht mehr. Die ständige Nässe war ein richtiges Problem für sie gewesen.

Als letzte Tat machte sie sich auf den Weg in die unteren Schmieden, wo sie sich den Stand zu den zukünftigen Waffen ihrer Herrin abholte. Ihr war der Stand egal, aber sowohl ihre Herrin als auch die Blutigen Eminenzen würden sich erkundigen und so musste Kiara zumindest aussagefähig sein.

Apropos, ihre Herrin brauchte auch noch Frühstück. Heute machte sie gut Strecke und das schon alles, bevor sie auch nur ihre Herrin sehen konnte. Kiara orderte das Frühstück und war froh, dass Nerth noch nicht aufgetaucht war. Wahrscheinlich lungerte er in der Nähe der Gemächer herum.

Als sie aus einem der niedrigen Fenster schaute, konnte sie die ersten menschlichen Bauern sehen, die von den Grünlandweiden von ihrem Tagewerk zurückkehrten. Das war auch Kiaras Stichwort, um mit der Karte zu ihrer Herrin zu gehen und sich um sie zu kümmern.

Sie konnte es gar nicht mehr erwarten.

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